Nach massiven Protesten hatte sich das Europäische Parlament vor dem Sommer dazu entschieden, seinen Standpunkt zur geplanten EU Urheberrechtsreform, inklusive Uploadfilter und Leistungsschutzrecht, nochmal zu überdenken.

Berichterstatter Axel Voss (EVP) ist es seitdem nicht gelungen, auf die Kritikpunkte hinreichend einzugehen, um eine konsensfähige Mehrheit für einen Alternativvorschlag zu mobilisieren. Deshalb wurden nun über 200 individuelle Änderungsanträge eingereicht. Abgeordnete werden am Mittwoch den 12. September über jeden einzelnen abstimmen.

Im Folgenden werde ich die Optionen erklären, zwischen denen sich die Abgeordneten entscheiden werden müssen. Rufe noch heute deine Abgeordneten an und fordere sie auf, einen der Vorschläge zu unterstützen, die kein Filtern von Uploads voraussetzen oder Verlinkungen einschränken!

cc-by Oli R

Artikel 13: Uploadfilter?

Der abgelehnte Vorschlag

  • Plattformen haften für alle Urheberrechtsverstöße von Nutzern
  • Plattformen müssen Uploadfilter benutzen
  • Ausnahmen für Wikipedia, GitHub und wenige andere
EVP-Fraktion [Download]

Hätte trotzdem Uploadfilter zur Folge, aber:

  • Begrenzt auf Plattformen die „große Mengen“ an Uploads bereitstellen und diese „bewerben“
  • Ausnahmen für Kleinunternehmen
ALDE-Fraktion (MdEP Cavada) [Download]

Hätte trotzdem Uploadfilter zur Folge, aber:

  • Betont das Herausfiltern von wiederholt hochgeladenen und bereits identifizierten urheberrechtswidrigen Inhalten
  • Rechteinhaber haften für ungerechtfertigte Entfernungen
  • Kontrolle von Beschwerden durch Menschen bei unabhängiger Beschwerdestelle
MdEP Schaake zusammen mit einzelnen Mitgliedern der EVP, S&D, EKR & ALDE [Download]
  • Im Fall von Videos oder Musik haften aktive und kommerzielle Plattformen für Urheberrechtsverstöße von Nutzern
  • Plattformen wird ein Anreiz geschaffen, durch Filtern der Haftung zu entgehen, aber Mitgliedsstaaten sind verpflichtet Filter zu verhindern – wie, bleibt unklar
S&D MdEPs Wölken, Stihler, Weidenholzer zusammen mit einzelnen Mitgliedern [Download]
  • Aktive Plattformen müssen faire Lizenzen abschließen
  • Plattformen müssen Rechteinhabern Zugang eine Schnittstelle zur automatischen Untersuchung von öffentlich verfügbaren Uploads ermöglichen, um potentiell Monetarisierung oder Entfernung zu beantragen
  • Uploader haben 48 Stunden um Entfernungsanfragen anzufechten, in denen die Uploads online bleiben, aber in den Suchergebnissen verborgen werden können, bevor eine Entscheidung getroffen wird
  • Keine Haftung, aber sobald urheberrechtlich geschützte Inhalte vom Rechteinhaber identifiziert sind, stehen dem alle damit erzielten Einnahmen zu
IMCO– & LIBE-Ausschüsse, Grüne/EFA-Fraktion [Download]
  • Aktive Plattformen müssen faire Lizenzen abschließen
  • Klare Unterscheidung zwischen Plattformen, die Urheber unfair behandeln, und Plattformen, die das Hochladen von urheberrechtlich geschütztem Material nicht verhindern können, aber auch nicht dazu ermutigen
  • Verbot von Gesetzen und Verträgen, die Uploadfilter vorschreiben
EFDD– & GUE-Fraktionen

  • Streichung von Artikel 13: Keine Änderung des geltenden Rechts

Uploadfilter mit ein paar Zugeständnissen bleiben trotzdem Uploadfilter: Eine teure und dennoch fehlerhafte Überwachungsinfrastruktur, die zur Sperrung legaler Posts führen wird, weil sie nicht zwischen erlaubten Nutzungen von urheberrechtlich geschütztem Material (wie zum Beispiel Parodien) und Urheberrechtsverstößen unterscheiden kann. Die Schutzmaßnahmen, die Voss und Cavada vorgeschlagen haben, reichen nicht aus, um die Bedenken von Wissenschaftler*innen, Internetexpert*innen, Menschenrechtsorganisationen und vielen weiteren zu beseitigen.

Die Begrenzung der Haftung für User-Uploads auf Musik- und Videoplattformen ist ein Schritt in die richtige Richtung und erspart vielen anderen Plattformen (Foren, Öffenliche Chats, Quelltextarchive, etc.) negative Konsequenzen.

Die “Auslagerung” der Suche nach Urheberrechtsverletzungen über einen API – mit der Bedingung eines fairen Prozesses – ist eine interessante Idee und definitiv deutlich besser als allgemeine Haftung. Allerdings wäre die Umsetzung trotzdem eine Herausforderung für Startups.

* * *

Artikel 11: Eine „Linksteuer“?

Der abgelehnte Vorschlag

  • Sogar die kürzesten Ausschnitte aus Nachrichtenartikeln (sogar einzelne Worte), wie sie beispielsweise häufig in Links verwendet werden, müssen lizenziert werden
EVP-Fraktion [Download]

Wie der abgelehnte Vorschlag, aber:

  • Links dürfen „einzelne Worte“ des Artikels enthalten
ALDE-Fraktion (MdEP Cavada) [Download]

Wie der abgelehnte Vorschlag, aber:

  • Ausnahme für “kleinste Textausschnitte” und reine Fakten
MdEP Schaake zusammen mit einzelnen Mitgliedern der EVP, S&D, EKR & ALDE [Download]
  • Vereinfachte Lizenzierung und Durchsetzung vom geltenden Urheberrecht an Nachrichtenartikeln durch Presseverleger
  • Plattformen werden verpflichtet, sich bei der Anzeige von Nachrichtenartikeln an die Vorgaben der Presseverlage unter Nutzung des Robots.txt-Protokolls zu halten
Grüne/EFA-Fraktion (ursprünglich vom EVP-MdEP Comodini) [Download]
  • Vereinfachte Lizenzierung und Durchsetzung vom geltenden Urheberrecht an Nachrichtenartikeln durch Presseverleger
EFDD-Fraktion

  • Streichung von Artikel 11: Keine Änderung des geltenden Rechts

Mit ihren Vorschlägen geben Voss und Cavada endlich zu, dass meine Warnungen gerechtfertigt waren, nachdem sie sich so lange dagegen gesträubt haben: Das neue, von Artikel 11 etablierte Leistungsschutzrecht würde in der Tat den Hyperlink gefährden, einen Grundbaustein des Internets.

Es zu erlauben, dass Links “einzelne Wörter” des zu verlinkenden Artikels enthalten, ist fast noch schlimmer, als im abgelehnten Vorschlag nur von Links im Allgemeinen zu sprechen: Es bedeutet im Umkehrschluss, dass die Anzeige der ganzen Überschrift NICHT erlaubt ist. Man wird im Netz aber kaum einen Link finden, der nicht mindestens mit der Überschrift des verlinkten Artikels beschriftet ist – und das schadet den Presseverlagen keineswegs. Cavadas Ausnahme für „kleinste Textausschnitte“ ist einfach Copy /Paste aus dem bereits gescheiterten deutschen Leistungsschutzrecht, seit dessen Einführung vor fünf Jahren sich die Gerichte über die Bedeutung von „kleinsten Textausschnitten“ streiten, ohne einer Antwort auch nur einen Schritt näher gekommen zu sein. Verlage haben in diese Gerichtsprozesse Millionen versenkt und innovative, junge Startups wurden in den Konkurs geklagt. Keiner dieser beiden Vorschläge kommt auch nur in die Nähe, die von 169 Urheberrechtsakademikern genannten Kritikpunkte am Leistungsschutzrecht auszuräumen.

Die vernünftige Alternative bleibt die sogenannte “Vermutungsregel”, die erlaubt es den Verlagen, Urheberrechte an ihren Artikeln effizient durchzusetzen, ohne die Linkfreiheit zu beeinträchtigen.

Plattformen dazu zu zwingen, Presseverlegern absolute Kontrolle darüber zu überlassen, wie ihre Artikel dargestellt werden (durch den Gebrauch von Robots.txt) privilegiert eine Interessensgruppe ohne erkennbaren Grund gegenüber allen anderen. Dieser Vorschlag würde aber zumindest die erheblichen Kollateralschäden für die Linkfreiheit vermeiden, die ein Leistungsschutzrecht unweigerlich mit sich bringen würde.

* * *

Artikel 3: Text- und Data Mining

Der abgelehnte Vorschlag

  • Data Mining sollte nur Forschungseinrichtungen und nur für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung genehmigt sein
  • Mitgliedstaaten können freiwillig weiteren Gruppen TDM erlauben, wenn dieses Recht nich explizit vorbehalten ist
Grüne/EFA-Fraktion (ursprünglich ein Kompromissvorschlag von MdEP Voss, später zurückgezogen)

Data Mining ist erlaubt, wenn es entweder…

  • …nicht explizit vorbehalten ist
  • …für nicht-kommerzielle Zwecke von Forschungseinrichtungen und Kulturerbeinstitutionen ausgeführt wird
  • …bereits Lizenzen existieren, die Auszüge und Vervielfältigung genehmigen
MdEP Schaake zusammen mit einzelnen Mitgliedern der EVP, S&D, EKR & ALDE

  • Data Mining ist erlaubt, wo rechtmäßiger Zugriff besteht: „Das Recht zu Lesen ist das Recht zum Mining“

Die Frage nach Text- und Data Mining hat weniger öffentliche Aufmerksamkeit erhalten, aber wenn der Artikel unverändert bleibt, wird begrenzt werden, wie Einzelpersonen, Journalist*innen, Startups und viele andere mit Daten arbeiten können. Europas Ambitionen, weltweiter Marktführer in der KI-Entwicklung zu werden, wären dadurch grundlegend gefährdet.
Obwohl wir in der Grüne/EFA-Fraktion stets unterstützt haben , dass das „Recht zu Lesen auch das Recht zum Mining“ bedeutet, und das auch weiterhin so sehen, haben wir uns auch dazu entschieden, MdEP Voss‘ ursprünglichen Kompromissvorschlag, den er später zurückgezogen hat, als Änderungsantrag einzureichen, weil dieser bessere Chancen auf eine Mehrheit hat.

* * *

Das Paket „Besseres Urheberrecht“

Darüber hinaus habe ich einige weitere Änderungsanträge eingebracht, um mehrere knappe, schlechte Entscheidungen des Rechtsausschusses zu korrigieren:

  1. Recht auf Remix: Eine neue verpflichtende Urheberrechts-Ausnahme für nutzergenerierte Inhalte (eingereicht mit ALDE, GUE und EFDD sowie über 50 einzelnen Abgeordneten über das politische Spektrum hinweg) – dieser Vorschlag wurde im Rechtsausschuss mit nur einer einzigen Stimme abgelehnt.
  2. Verpflichtende Panoramafreiheit für ganz Europa (eingereicht mit GUE und über 50 weiteren Abgeordneten) – zuvor knapp im Rechtsausschuss abgelehnt.
  3. Klarstellung, dass Links keine Urheberrechtsverstöße sind – im Rechtsausschuss mit nur einer Stimme abgelehnt.
  4. Entfernung des vorgeschlagenen Leistungsschutzrechts für Sportveranstalter – wurde knapp vom Rechtsausschuss hinzugefügt.
  5. Streichung einer gefährlichen Änderung von Artikel 6 durch den Rechtsausschuss, welche besagt, dass man eine durch eine urheberrechtliche Ausnahme entstandene Kopie nicht für eine zweite urheberrechtliche Ausnahme benutzen darf. Zum Beispiel dürfte eine Universitätsbibliothek zu Erhaltungszwecken kopierte Bücher nicht für Bildungszwecke benutzen.

Update, 6. September 2018: Die Liste aller Änderungsvorschläge ist jetzt hier abrufbar.

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Diese Abstimmung ist unsere beste Chance, um zu verhindern, dass die EU Urheberrechtsreform dem Internet langfristigen Schaden zufügt. Ihr alle habt uns diese zweite Chance ermöglicht, indem Ihr vor dem Sommer mit uns gegen die Uploadfilter und das Leistungsschutzrecht protestiert habt – zusammen haben wir Geschichte geschrieben.

Jetzt müssen wir es zu Ende bringen: Ruf heute noch deine Abgeordneten an und verlange von ihnen, dass sie eine Option wählen, die kein Filtern von Uploads und keine Beschränkung von Links zur Folge hat.

Soweit dies durch das Gesetz möglich ist, hat der Schöpfer auf das Copyright und ähnliche oder Leistungsschutzrechte zu seinem Werk verzichtet.

4 Kommentare

  1. 1

    Danke! Danke, dass Sie sich für ein Urheberrecht einsetzen, dass die Interessen ausbalanziert, dass den Menschen nützt und unsere Freiheiten verteidigt statt sie in ein zu enges Korsett von Urheber- und Verwertungsrechten zu pressen, welche jedwede künstlerische, wissenschaftliche und soziale Freiheit und Regung schon im Keim ersticken könnte.

  2. 2
    Christian

    Hallo Julia,
    zu dem Thema fand ich kaum Informationen.
    Ich wurde heute beim Besuch von Wikipedia aufgefordert E-Mails zu senden.
    Ich habe es nach dem lesen deines Artikels immer noch nicht verstanden.
    Option 1 ist vorausgewählt. Welche der 4 Optionen soll ich wählen? Alle?
    Danke

  3. 3
    Lars Niekrenz

    Das was Sonneborn dazu sagt finde ich richtig.

  4. 4

    Danke, sehr verständlich dargestellt! Ich denke und hoffe, dass das Teilen in sozialen Netzwerken erwünscht ist. Danke an https://logbuch-netzpolitik.de für den Hinweis!