Nächste Woche, am 8. Juni, kommt es zum Showdown im Ringen um die EU-Urheberrechtsreform. Das Europäische Parliament ist derzeit damit beschäftigt, eine gemeinsame Position zu den Urheberrechtsreformplänen der Europäischen Kommission zu erarbeiten, die die Funktionsweise des Internets bedrohen und von der Wissenschaft einhellig verurteilt werden.

Nun, da das Parlament sich auf gutem Weg befindet, eine vernünftige Position in der Debatte einzunehmen, greifen einige zu fragwürdigen Methoden, um diese desaströsen Vorschläge zu verteidigen – oder gar noch auszuweiten.

EIN ‚ALTERNATIVER KOMPROMISS‘

Am 8. Juni stimmt der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO-Ausschuss) über seinen Standpunkt ab. Diese Abstimmung ist ein entscheidender Schritt für den Ausgang der Urheberrechtsreform, denn der IMCO-Ausschuss ist mitverantwortlich für die Position des Parlaments zu einem der kontroversesten Teile der Reform: die Einführung verpflichtender Zensurfilter auf Onlinediensten wie sozialen Netzwerken.

Heute haben wir erfahren, dass MdEP Pascal Arimont von der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) den parlamentarischen Prozess zu sabotieren versucht: Er übergeht die Verhandlungspartner*innen der anderen Fraktionen und sammelt Unterstützung für seine eigenen Vorschläge, die den problematischen Kommissionsvorschlag im Vergleich noch harmlos erscheinen lassen. Mit dieser Methode hatte Arimont bereits vor kurzem Erfolg, as er den Ausschuss davon abhielt, eine fortschrittliche Position zur Überwindung des Geoblocking einzunehmen. Wenn es ihm erneut gelingt, würde der Ausschuss wieder genau das Gegenteil dessen tun, womit er beauftragt ist: Verbraucher*innen zu schützen.

Die sozialdemokratische Abgeordnete Catherine Stihler wurde dazu ernannt, als Berichterstatterin in diesem Ausschuss alle Änderungsanträge der verschiedenen Fraktionen zu einem Kompromiss zusammenzuführen, der für die Mehrheit der Abgeordneten akzeptabel ist. Zu diesem Zweck hat sie sich regelmäßig mit den Verhandlungspartner*innen der anderen Fraktionen getroffen (mich eingeschlossen, als Schattenberichterstatterin der Fraktion Grüne/EFA). Gemeinsam haben wir uns auf die Grundzüge eines Kompromisses geeinigt:

  1. Wir lehnen den Plan der Kommission ab, Onlinedienste dazu zu verpflichten, das Verhalten aller ihrer Nutzer*innen zu überwachen und proaktiv Uploads zu blockieren, die gegen das Urheberrecht verstoßen könnten. Stattdessen schlagen wir vor, dass Unternehmen, die tatsächlich Kenntnis und Kontrolle über urheberrechtsverletzende Inhalte auf ihrer Plattform haben und diese nicht unverzüglich entfernen, einen Lizenzvertrag zu fairen Bedingungen abschließen und besser mit Rechteinhabern kooperieren müssen. Im Gegenzug wären diese Firmen weiterhin von jeglicher Haftung für die Uploads ihrer Nutzer*innen befreit, und die Rechte der Nutzer*innen auf Nutzung urheberrechtlich geschützter Inhalte im Rahmen von Urheberrechtsschranken und -ausnahmen würden gegen willkürliche Maßnahmen der Diensteanbieter oder Rechteinhaber abgesichert.
  2. Wir lehnen die Einführung eines Leistungsschutzrechts für Presseverleger ab, weil eine solche Ausweitung des Urheberrechts die Informationsfreiheit im Netz gefährlich einschränken würde.

Der „alternative Kompromiss“ der EVP fällt in die gleiche Kategorie wie „alternative Fakten“
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MdEP Arimont versucht nun, Kolleg*innen anderer Fraktionen, wie etwa der sozialdemokratischen S&D und der liberalen ALDE-Fraktion, dazu zu bewegen, gegen ihre Verhandler*innen zu rebellieren und stattdessen am 8. Juni für seine eigenen Vorschläge zu stimmen.

Er nennt diese Vorschläge „alternative Kompromisse“, aber tatsächlich handelt es sich dabei genauso wenig um Kompromisse, wie es sich bei „alternativen Fakten“ um Fakten handelt. Sein Text geht noch weit über die Pläne der Kommission hinaus, die das Urheberrecht bereits extrem ausweiten. Moderatere Änderungsanträge, die Mitglieder seiner eigenen Fraktion eingebracht haben, ignoriert er dabei.

Internetzensur auf allen Plattformen

Anstatt einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen von Rechteinhabern, Online-Diensten und Nutzer*innen zu finden, wie es den anderen Fraktionen gelungen ist, lesen sich Herrn Arimonts „alternative Kompromisse“ wie eine Wunschliste der Contentindustrie. Die Grundrechtecharta und lang etablierte Grundprinzipien des EU-Rechts werden dabei über den Haufen geworfen.

Er möchte die Verpflichtung zur Filterung von User-Uploads noch ausweiten: Sie soll nicht nur für Dienste gelten, die große Mengen“ urheberrechtlich geschützter Inhalte speichern, wie die Kommission es vorgeschlagen hat. Vielmehr sollen alle Dienste betroffen sein, die die Zugänglichkeit von Inhalten vereinfachen, selbst wenn der Dienst selbst überhaupt keine Inhalte speichert! Das würde Zensurfilter selbst für Dienste bedeuten, die Inhalte auf anderen Websiten lediglich verlinken, weil ein Hyperlink laut Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) unter bestimmten Umständen bereits eine Urheberrechtsverletzung darstellen kann.

Die einzige vorgesehene Ausnahme: Kleinstunternehmen, die nicht älter als 5 Jahre sind. Wenn du also seit mehr als 5 Jahren selbständig bist, würden die Regeln, die die Kommission auf YouTube und Facebook zugeschnitten hat, auch auf deine persönliche Webseite Anwendung finden.

Gleichzeitig möchte Herr Arimont die EuGH-Entscheidung aushebeln, in der klargestellt wurde, dass eine umfassende Überwachung aller Nutzer*innenaktivitäten eine Verletzung von Grundrechten darstellt. Er stellt die kühne Behauptung auf, dass die Überprüfung aller Uploads von Nutzer*innen aufbestimmte urheberrechtlich geschützte Werke keine „allgemeine“ Überwachung sei – als sei es möglich, verlässlich alle Nadeln in einem Heuhaufen zu finden, ohne sich den ganzen Heuhaufen anzuschauen.

Er führt dann weiter aus, dass jeder Onlinedienst, der einen Algorithmus nutzt, um die Anzeige der von Nutzer*innen hochgeladen Inhalte zu verbessern (beispielsweise die alphabetische Sortierung von Dateien nach ihrem Namen), direkt haftbar ist für alle Urheberrechtsverletzungen der Nutzer*innen. Während die Europäische Kommission noch zu kaschieren versuchte, dass sie die Regeln für die Haftung von Internetplattformen umschreiben will, bekennt Herr Arimont das ganz offen: Der Diensteanbieter, der so eine aktive Rolle spielt, genießt keine Haftungsbefreiung (aktive Rolle durch ihn definiert als „Optimierungen zum Zwecke der Präsentation hochgeladener Werke oder anderer Schutzgegenstände durch den Dienst oder ihre Bewerbung durch den Dienst, unabhängig davon, welche Mittel dazu eingesetzt werden“).

Privatisierung von Schlagzeilen bis zurück in den kalten Krieg


Weil alle Fraktionen außer der EVP (und der populistischen EFDD) Änderungsanträge gestellt haben, die die komplette Löschung des Leistungsschutzrechts für Presseverleger verlangen, ist es naheliegend, dass die Berichterstatterin in ihren Kompromissanträgen diesem Vorschlag folgt. Natürlich ist Herr Arimont mit diesem Ergebnis nicht glücklich, aber seine „alternativen Kompromisse“ sehen eher nach einer Provokation aus denn nach einem Versuch, sich auf halber Strecke zu treffen. Anders als einige seiner EVP-Kolleg*innen, die den Vorschlag von Therese Comodini (EVP), der Berichterstatterin im federführenden Rechtsausschuss, übernommen haben, strebt er eine drastische Erweiterung des Kommissionsvorschlages für ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger an.

Schlug die Kommission noch eine Schutzdauer von 20 Jahren für die Nutzung von Nachrichtenausschnitten in digitaler Form aus, erweitert er die Schutzdauer auf 50 Jahre, sowohl für online- als auch für offline-Nutzung. Damit würde selbst die Wiedergabe von Überschriften aus der Zeit des kalten Krieges plötzlich die Erlaubnis des ursprünglichen Verlegers erfordern, der inzwischen freilich schon längst den Betrieb eingestellt haben mag. Während die Kommission dieses Recht auf Presseverleger beschränkt, fügt Arimont nun ausdrücklich auch die Wissenschaftsverlage hinzu, mit potentiell katastrophalen Folgen für alle Open Access-Initiativen.

In einem Versuch, die lautesten Kritiker*innen dieser Urheberrechtsausweitung zum Schweigen zu bringen, stellt Arimont gönnerhaft klar, dass einzelne Wörter nicht von diesem neuen Schutzrecht erfasst sein sollen – ebenso wenig wie Hyperlinks. Dies bedeutet natürlich, dass alles, was über ein einzelnes Wort oder einen nackten Hyperlink hinausgeht, also schon 2 Worte, vom Leistungsschutzrecht erfasst wäre. Und wer klickt auf einen Link, der noch nicht einmal die Überschrift eines Nachrichtenartikels enthält, als Hinweis, was sich dahinter verbirgt?

Lade hier die „alternativen Kompromissänderungsanträge“ herunter
#1 #2

FORDERT EURE ABGEORDNETEN AUF, DIESE FALSCHEN KOMPROMISSE ABZULEHNEN!

Hilf uns, diesen dreisten Versuch abzuwenden, die erprobten Abläufe im Parlament zu unterlaufen und das Urheberrecht in der EU ohne Rücksicht auf Verluste auszuweiten! Die Interessen einiger weniger großer Firmen dürfen nicht Grundrechte, die zeitgenössische Internetkultur oder die Entwicklungschancen von Startups ausschlagen!

Kontaktiert Abgeordnete aus eurem Land im IMCO-Ausschuss und sagt ihnen, dass ihr von ihnen erwartet, sich bei der Abstimmung über das Urheberrecht hinter die Kompromissanträge der Berichterstatterin Stihler zu stellen. Telefonanrufe kosten nicht mehr als ein paar Minuten und können großen Einfluss haben. Die Internet-NGO Bits of Freedom stellt ein praktisches Tool bereit, mit dem Ihr Eure Abgeordneten kostenlos anrufen könnt! Die Abstimmung ist schon in einer Woche – wir müssen jetzt handeln!

Ich habe meinen MdEP mitgeteilt: Lehnen Sie den Vorstoß für eine gefährliche Ausweitung des EU-Urheberrechts ab Tweet this!

Soweit dies durch das Gesetz möglich ist, hat der Schöpfer auf das Copyright und ähnliche oder Leistungsschutzrechte zu seinem Werk verzichtet.

8 Kommentare

  1. 1

    1. Hyperlinks auf andere Domänen oder IP-Adressen sollten für jeden Internetnutzer ein ausreichender Beleg dafür sein, daß der Veröffentlicher der Adresse bzw. Domäne nicht der Urheber oder irgendwie verantwortlich für den Inhalt sein muß. Für Internetnutzer, die dadurch irregeführt werden (einschließlich Juristen), sollte gelten: Unwissenheit schützt vor Strafe bzw. Verantwortung nicht. Ich kann auch keinen Verlag verklagen, weil ich mit der üblichen Anordnung von Buchseiten nicht zurechtkomme. Das Internet ist ein eBook mit vielen unabhängigen Verfassern. Über URL und Anbieterkennzeichnung sollte jeder in der Lage sein, die Zuordnung sicher herzustellen. Wo das nicht zur Allgemeinbildung gehört, versagt das Bildungssystem.
    2. Alles was man im Internet ungehindert herunterladen kann, sollte jeder auch laden dürfen. Für das Einhalten der Urheberrechte bei Uploads sollte ausschließlich die Person, die den Upload durchführt oder beauftragt hat zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie zu Rechtsgeschäften fähig ist. Urheberrechtsverletzungen (durch Vervielfältigung), die deswegen nicht eingeklagt werden können, gab es auch schon vor dem Internet, und sie haben denen, die heute am lautesten nach einer Verschärfung der Verwertungsrechte zulasten der Verbraucher rufen, nicht nachweislich geschadet.
    3. Wenn in einer Internetsuchergebnisliste Livezitate aus einer frei zugänglichen Website angezeigt werden, soll nicht der Suchmaschinenbetreiber dafür zahlen müssen, denn er wirbt für den Betreiber der gefundenen Website. Das gelte auch, wenn nur der Suchmaschinenbetreiber Zugang zu den Zitaten hat. Dieses Problem könnte aber der Markt regeln. Würde ich eine Suchmaschine betreiben und wegen so etwas bedroht werden, würde ich die Domäne des Klägers aus meiner Suche ausschließen. Der Autor, dessen Inhalte, dann nicht mehr beim Publikum ankommen, würde dann (mindestens für zukünftige Werke) auch andere Möglichkeiten zur Veröffentlichung suchen, notfalls im EU-fernen Ausland.

  2. 2
    engelen heinz

    ich unterstütze mozilla bei seinen bemühungen.

  3. 3
    Ulrich wagner

    Ich bin strikt gegen die Einschränkungen im bestehenden Urheberrecht.

  4. 4

    Es darf nicht sein, dass das Urheberrecht gefährlich ausgeweitet wird.

  5. 5
    Pfeiffer

    Schließe mich dem Kommentar von Andreas Jakobsche an.

  6. 6

    Vielen Dank für Ihre Darstellung der Schwierigkeiten in der Neufassung des EU- Urheberrechts.
    Ich werde Ihr Anliegen unterstützen, indem ich Ihren Beitrag auf Facebook teilen werde…

  7. 7

    ich vertraue Julia

  8. 8
    Schrödel, Edmund

    Ich unterstütze die Ablehnung der vorgesehen Urheberrechtsänderung ab. Damit unterstüzte ich die aktivitäten der Abgeordneten im eurpäischen Parlament, die diese Ablehnung fordern.