In letzter Minute droht ein Änderungsantrag der CSU-Abgeordneten Angelika Niebler meinen Bericht für eine progressive Urheberrechtsreform zu unterminieren:

Das freie Verlinken von Inhalten steht auf dem Spiel, wenn Änderungsantrag 1 bei der Plenarabstimmung am Donnerstag angenommen wird. Obwohl die Abgeordnete mit ihrem Vorstoß für ein europäisches Leistungsschutzrecht für Presseverleger bereits im Rechtsausschuss abgeblitzt ist, und obwohl sich die Fraktionen darauf geeinigt hatten, keine neuen Punkte mehr einzureichen, versucht sie es nun erneut.

Zur Erinnerung: Das Leistungsschutzrecht-Debakel

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Schlechte Ideen werden auch dadurch nicht besser, dass man sie kopiert. Die Presseverleger in Deutschland hatten durch eine groß angelegte Lobbykampagne ein Leistungsschutzrecht erstritten, das vornehmlich dazu dienen sollte, Google für die Querfinanzierung von Verlagen zur Kasse zu bitten. Obwohl das Gesetz in der Praxis bisher keinen Cent abgeworfen und zu allem Überfluss Google noch einen Marktvorteil gegenüber der Konkurrenz verschafft hat, war es nur eine Frage der Zeit, bis die Verlage und ihre Verwertungsgesellschaft VG Media die Kampagne für ein Leistungsschutzrecht auf Europäischer Ebene fortführen.

Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger greift ein Grundprinzip der Onlinekommunikation an: Das freie Verlinken von Inhalten im Internet. Weil große Verlage aus dem Printzeitalter es versäumt haben, nachhaltige Geschäftsmodelle für den Onlinejournalismus zu entwickeln, soll die Verlinkung auf ihre Presseartikel mit einem Preisschild versehen werden. Ein ähnliches Gesetz in Spanien führte nicht nur zur Schließung von Google News, sondern macht seither allen Onlineprojekten, die auf das Zusammentragen von Presseinformationen angewiesen sind, das Leben schwer.

Im Europaparlament beißt Verlegerlobby bislang auf Granit

Während Digitalkommissar Günther Oettinger bereits seit Beginn seiner Amtszeit mit der Einführung eines europäischen Leistungsschutzrechts liebäugelt, hat das Parlament diesem Vorhaben bei der Verhandlung meines Berichts zur Urheberrechtsreform bislang eine klare Absage erteilt. Bei der Abstimmung im Rechtsausschuss wurde ein Antrag der CSU-Abgeordneten Angelika Niebler mit deutlicher Mehrheit abgelehnt:

Änderungsantrag 204:
3g. (neu) stellt fest, dass der derzeitige Rechtsrahmen Leistungsschutzrechte für ausübende Künstler, Tonträgerhersteller, Filmhersteller und Sendeunternehmen vorsieht, nicht aber für Presseverleger; fordert die Kommission daher auf, zu analysieren, ob Leistungsschutzrechte für Presseverleger deren Arbeit im Zeitalter einer digitalisierten Medienwelt angemessen schützen und vergüten können;

Sogar Nieblers eigene Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) unterstützte darüber hinaus einen Kompromissantrag aller Fraktionen, der insbesondere das spanische Leistungsschutzrecht-Gesetz dafür kritisiert, dass es eine Pflichtabgabe für Verweise auf Nachrichtenartikel eingeführt hat, obwohl den Verlegern durch diese kein nachgewiesener Schaden entsteht. In einem Nachrichtenaggregator wie Google News aufzutauchen ist nämlich freiwillig und könnte von den Verlagen jederzeit technisch unterbunden werden, wenn ihnen dadurch tatsächlich ein Schaden entstünde. Dass kaum ein Verlag von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, deutet darauf hin, dass Nachrichtenaggregatoren den Verlagen eher nützen als schaden, indem sie neues Publikum auf die Verlagswebseiten bringen.

Kompromissantrag 21, den der Rechtsausschuss angenommen hat:
57. Nimmt zur Kenntnis, dass in einigen Mitgliedstaaten gesetzliche Lizenzen mit dem Ziel von Ausgleichsregelungen eingeführt worden sind; betont, dass dafür gesorgt werden muss, dass Handlungen, die gemäß einer [Urheberrechts-]Ausnahme zulässig sind, auch zulässig bleiben; weist darauf hin, dass ein Ausgleich für die Anwendung von Ausnahmen und Beschränkungen nur in den Fällen in Betracht gezogen werden sollte, wenn Handlungen, die als unter eine Ausnahme fallend betrachtet werden, dem Rechtsinhaber einen Schaden zufügen; fordert ferner die Europäische Beobachtungsstelle für Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums auf, eine umfassende wissenschaftliche Bewertung dieser mitgliedstaatlichen Maßnahmen und ihrer Auswirkungen auf alle betroffenen Interessenträger durchzuführen;

CSU-Abgeordnete will EU-Leistungsschutzrecht durchdrücken

Mit dieser Niederlage wollten sich die Verlage hinter der Leistungsschutzrecht-Kampagne wohl nicht so einfach abfinden. Unmittelbar nach der Abstimmung im Rechtsausschuss veranstaltete die VG Media in der Bayerischen Landesvertretung in Brüssel eine Diskussionsrunde „Die Bedeutung von Leistungsschutzrechten für die europäische Medienvielfalt“, auf der ich einer Reihe von Verfechter*innen des Leistungsschutzrechts für Presseverleger den für sie sicherlich enttäuschenden Ausgang der Abstimmung im Rechtsausschuss präsentieren konnte. Kommissar Oettinger stellte bei seinem Grußwort auf der Veranstaltung den anwesenden Interessenvertretern wie z.B. der VG Media oder dem Axel Springer-Verlag die Möglichkeit in Aussicht, den Gesetzesentwurf zur EU-Urheberrechtsreform bereits vor dessen Übermittlung an das Europaparlament mit der Kommission zu diskutieren.

Nun steht am Donnerstag, dem 9. Juli, die endgültige Abstimmung über meinen Urheberrechtsbericht im Plenum des Europaparlaments an. Das Parlament steckt damit seine Position zum geltenden Urheberrecht ab, die die Kommission bei der Vorbereitung ihres Reformvorschlags berücksichtigen muss. Um den im Rechtsausschuss ausgehandelten Kompromiss nicht zu gefährden, vereinbarten die Fraktionen – so auch die Chefverhandlerin der EVP-Fraktion Therese Comodini Cachia – dass es keine neuen Änderungsanträge für die Plenarabstimmung geben würde. Dennoch hat die CSU-Abgeordnete Niebler 81 Unterschriften von EVP-Abgeordneten gesammelt, darunter der Großteil der CDU/CSU-Abgeordneten, um unabhängig von ihrer Fraktion doch noch einen Änderungsantrag einzureichen. Dieser fordert, wenig überraschend, einen Gesetzesvorschlag der Kommission zu Gunsten der Presseverleger:

Änderungsantrag 1 von Angelika Niebler (CSU)
57a. (neu) fordert die Kommission auf, zu prüfen, wie Qualitätsjournalismus auch im digitalen Zeitalter bewahrt werden kann und einen entsprechenden Vorschlag vorzulegen, um Medienvielfalt zu garantieren, insbesondere unter Berücksichtigung der wichtigen Rolle, die Journalisten, Autoren und Mediendienstleister wie Presseverleger hierbei spielen;

Es handelt sich eindeutig um einen neuen Anlauf, um die Forderung nach einem europaweiten Leistungsschutzrecht für Presseverleger doch noch irgendwie in meinen Bericht zu mogeln. Mit dieser Legitimierung des Parlaments im Rücken wäre Kommissar Oettinger darin bestärkt, ein EU-Leistungsschutzrecht zum Teil der Urheberrechtsreform zu machen. Dass Niebler hier die fadenscheinige Rechtfertigung der VG Media mit der „Medienvielfalt“ übernimmt, setzt der unverblümten Klientelpolitik die Krone auf.

Europaparlament muss klarstellen: Nein zum Leistungsschutzgeld!

Hinter diesem erneuten Vorstoß für ein europäisches Leistungsschutzrecht stehen offensichtlich Verlegerverbände, die noch immer viel zu viel Energie darauf verschwenden, den technischen Fortschritt bekämpfen, anstatt mit dem Internet neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Diejenigen in der Verlagsbranche, die lieber nach vorne schauen, kritisieren das Verhalten von VG Media und co. scharf. Der ehemalige Chefredakteur von Zeit Online Wolfgang Blau, jetzt Chef-Digitalstratege beim britischen Guardian, bringt es auf den Punkt:

„Die ganz wenigen großen und international aktiven Verlagsgruppen […] nutzen das Leistungsschutzrecht als Machtgeste gegenüber Google. Sie beweisen damit, dass sie in Europa trotz ihres schwindenden publizistischen Einflusses immer noch Parlamente für sich instrumentalisieren und Wettbewerbern das Leben ein bisschen schwerer machen können. Diesen wenigen großen Unternehmen ging es meiner Meinung nach nie ums Leistungsschutzrecht, sondern um ihre zukünftige Verhandlungsposition gegenüber den amerikanischen Plattformbetreibern in anderen Angelegenheiten. Ich frage mich oft, wie viele Parlamentarier überhaupt verstanden haben, wie sie da instrumentalisiert wurden, und ob die diversen Parteien diese Spielchen auch mitspielen würden, wenn Google ein europäisches Unternehmen wäre. Persönlich ist mir Google egal, das Internet aber nicht.“

Wir müssen die Annahme des Änderungsantrag 1 zu meinem Urheberrechtsbericht verhindern. Die europäische Urheberrechtsreform muss den Umgang mit Wissen und Kultur im Netz erleichtern, anstatt ihn durch neue, zum Scheitern veurteilte Bürokratie zu erschweren.

Keine Lobby darf so großen Einfluss auf die Politik erlangen, dass sie ein offensichtlich nutzloses und kontraproduktives Gesetz durchpeitschen können. Hier haben wir Europaabgeordneten die Chance zu zeigen, dass die Macht der Verleger in der Europapolitik nicht so weit reicht wie in Deutschland oder Spanien. So können wir nicht nur die Einführung eines europäischen Leistungsschutzrechts verhindern, sondern auch dazu beitragen, dass in Deutschland und Spanien die vielen Expert*innen endlich Gehör finden, die eine Abschaffung dieser Gesetze empfehlen. Und das Vertrauen der Menschen in die Unabhängigkeit des Europaparlament ein Stück weit zurückgewinnen.

Soweit dies durch das Gesetz möglich ist, hat der Schöpfer auf das Copyright und ähnliche oder Leistungsschutzrechte zu seinem Werk verzichtet.

2 Kommentare

  1. 1
    Der Amtsleiter

    Die Verlage haben das Internetzeitalter verschlafen. Niemand abonniert heute noch eine ganze Zeitung, wenn er sich nur für drei Artikel interessiert. Das Internet ermöglicht es gezielt die Themen in ALLEN online-Medien zu suchen und zu lesen, für die man sich interessiert. Aber niemand will ALLE online-Medien abonnieren. Das könnten sich die Meisten auch gar nicht leisten, bei den Preisen, den die Verlage dafür aufrufen.

    Und hier liegt das Problem. Ich wäre gerne bereit einen bestimmte Obolus zu entrichten, wenn ich dann dafür in allen deutschsprachigen Medien lesen könnte. Wie das abgewickelt wird (Medienflatrate od. Bezahlung pro gelesenem Artikel) ist Sache der Verlage. Da müssen entsprechende Ideen zwischen Verlagen und Lesern entwickelt werden, die online-Medien für beide Seiten interessant machen.

    Das Leistungsschutzrecht führt in eine Sackgasse, die unweigerlich zum Verlagssterben führen wird, weil die Leser auf ausländische z.B. englisch sprachliche Artikel ausweichen werden. DAS würde ich bedauern, da es in Europa viele Jobs kosten wird.

  2. 2
    Peter Stein

    Wo steht denn in dem Änderungsantrag was von Leistungsschutzrecht? Mir kommt das eher wie eine ziemlich beliebige Floskel vor – die aber immerhin mit den Forderungen nach „Medienvielfalt“ und „Qualitätsjournalismus“ durchaus keine doofen Sachen einfordert.