Wer Zugriff auf Dokumente der Europäischen Kommission erhalten will, muss seit Neuestem eine postalische Adresse angeben. Die Begründung der Kommission für diese Einschränkung der Informationsfreiheit: Sie müsse auf diese Weise verhindern, dass Personen missbräuchlich Anträge unter verschiedenen Identitäten stellen.

Ich habe vor einem halben Jahr nachgefragt, wie viele konkrete solche „Missbrauchsfälle“ es denn gegeben hat. Heute habe ich endlich die Antwort erhalten.

Das ist die Zahl der Fälle seit 2001, in denen Anträge mit unterschiedlichen Identitäten gestellt wurden, die von derselben Person kamen:

Einer.

Ihr habt richtig gelesen: Weil in den letzten 14 Jahren eine einzige Person viele Anträge auf Dokumenteneinsicht gleichzeitig gestellt und dafür unterschiedliche Identitäten angegeben hat, wird der Informationszugang für über 500 Millionen Menschen in Europa eingeschränkt. Die Europäische Kommission hat hier völlig versagt, diese Hürde für die Dokumenteneinsicht zu rechtfertigen. Die Pflicht zur Adressangabe ist eine Überreaktion par excellence. Ich fordere die Kommission dazu auf, diese unnötige Hürde umgehend wieder abzuschaffen.

Öffentliche Stellen sollten proaktiv publizieren, was von öffentlichem Interesse sein könnte.
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Übrigens: Am Dienstag stimmt der Rechtsausschuss des Europaparlaments über eine Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen ab, in denen von „legitimer“ Nutzung der Informationsfreiheit spricht. Wie schnell Informationsrechte eingeschränkt werden, wenn man anfängt, zwischen „legitimen“ und „illegitimen“ Nutzungen von Grundrechten zu unterscheiden, kann man an diesem praktischen Beispiel sehen. Anstatt sich von den Menschen abzuschirmen, sollten öffentliche Stellen besser proaktiv alle Informationen veröffentlichen, die von öffentlichem Interesse sein könnten.


Meine Anfrage an die Kommission

27. Januar 2015 / E-001076-15
Betrifft: Analoge Barrieren beim Zugang zu Dokumenten der Kommission

Seit 2014 verlangt die Kommission bei Anfragen auf Zugang zu Dokumenten im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission die Angabe einer postalischen Adresse bei Antragstellung. Unter anderem wird damit die Verwendung von elektronischen Portalen wie asktheeu.eu erschwert, die Bürgerinnen und Bürger dabei unterstützen, von diesen Informationsmöglichkeiten Gebrauch zu machen. Nach Auskunft des Teams der Kommission, das für den Zugang zu Dokumenten verantwortlich ist, liegt dieser Entscheidung die Sorge um Missbrauch dieses Informationsrechts zugrunde.

  1. Was waren jeweils die konkreten Gründe missbräuchlicher Anfragen nach Dokumenten an die Kommission seit Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (einzelne Darstellung jedes konkreten Falles des Missbrauchs)?
  2. Welche dieser missbräuchlichen Anfragen seit Inkrafttreten der Verordnung hätten nur deshalb verhindert werden können oder konnten nur deshalb verhindert werden, weil es einen solchen Zwang zur Angabe einer Postadresse gab bzw. noch nicht gab?
  3. Welche konkreten organisatorischen, rechtlichen, technischen oder sonstigen Maßnahmen plant die Kommission bis wann, um den Zugang zu Dokumenten der Kommission für jedermann oder bestimmte Zielgruppen zu erleichtern?

Antwort der Kommission

Antwort von Vizepräsident Timmermans im Namen der Kommission (12.6.2015)

1. Die Kommission strebt bei ihrer Arbeit nach höchster Transparenz und bemüht sich darum, der Öffentlichkeit über ihre proaktiven Kommunikationskanäle alle relevanten Informationen zur Verfügung zu stellen und das in Artikel 15 Absatz 3 AEUV vorgesehene Recht auf Zugang zu Dokumenten in vollem Umfang zu gewähren.

Die Kommission verlangt seit dem 1. April 2014 von Antragstellern, die Zugang zu Dokumenten der Kommission wünschen, die Angabe einer postalischen Adresse, um

– sicherzustellen, dass Entscheidungen über Anträge auf Zugang zu Dokumenten dem Antragsteller im Einklang mit den rechtlichen Anforderungen (Artikel 297 AEUV) ordnungsgemäß per Einschreiben mitgeteilt werden können;

– das Datum des Eingangs der Antwort auf den Antrag festzuhalten, falls der Antragsteller einen Zweitantrag auf Zugang zu Dokumenten stellen, Klage vor Gericht erheben oder eine Beschwerde beim Bürgerbeauftragten einlegen will, da in diesen Fällen jeweils strikte Fristen gelten;

– bei der Übermittlung von Daten an Empfänger in einem Drittland gemäß Artikel 9 der Datenschutz-Verordnung 45/2001 zu prüfen, ob hinsichtlich personenbezogener Daten ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet ist;

– zu ermitteln, ob Antragsteller versuchen, die Bestimmungen der Verordnung 1049/2001 zu umgehen, indem sie unter Nutzung verschiedener Identitäten mehrere Anträge stellen (im Zeitraum 2012/13 gingen bei der Kommission 57 Zweitanträge ein, bei denen sich letztlich herausstellte, dass sie alle vom gleichen Antragsteller, der unter 13 verschiedenen Identitäten agierte, stammten).

Wie die Kommission auf dem Antragsformular für den Zugang zu Dokumenten angibt, werden personenbezogene Daten im Einklang mit den geltenden Datenschutzvorschriften behandelt. Der Europäische Datenschutzbeauftragte (EDSB) hat dies mehrfach bestätigt und vertritt die Auffassung, dass die Kommission sich mit der Forderung, bei Stellung eines Antrags auf Zugang zu Dokumenten gemäß der Verordnung 1049/2001 eine postalische Adresse anzugeben, auf die am wenigsten invasive Ausweispflicht beschränkt und keine personenbezogenen Daten verlangt, die über die Zwecke, für die die Daten erhoben und verarbeitet werden, hinausgehen.

2. Die Kommission führt nicht über alle seit 2001 eingegangenen „missbräuchlichen“ Anträge Buch. 2012/13 gingen 57 Zweitanträge ein, die allem Anschein nach von einem einzigen Antragsteller stammten, der 13 verschiedene Identitäten nutzte.

Nach den 57 Anträgen, die sich stilistisch und inhaltlich stark ähnelten, sind, seitdem die Kommission eine postalische Adresse verlangt, keine vergleichbaren Anträge mehr eingegangen. Leider sind keine Angaben zur Anzahl verhinderter missbräuchlicher Anträge möglich, da solche Anträge schlichtweg nicht gestellt wurden.

3. Die Kommission hat den Zugang zu ihren Dokumenten über ihr Dokumentenregister und die Webseiten der Generaldirektionen vereinfacht. Sie erhält jedes Jahr mehr als 6 000 Anträge auf Dokumenteneinsicht und gewährt in über 80 % der Fälle (teilweisen) Zugang. Eine weitere Ausweitung dieser aktiven Transparenz wird derzeit im Rahmen des Pilotprojekts „Zugang zu Dokumenten“ („PublicAcess.eu“) geprüft.

Soweit dies durch das Gesetz möglich ist, hat der Schöpfer auf das Copyright und ähnliche oder Leistungsschutzrechte zu seinem Werk verzichtet.

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