Mit einer breiten Mehrheit hat heute der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments eine bearbeitete Fassung meines Urheberrechts-Berichts beschlossen. (Ich werde die beschlossene Version hier verlinken, sobald sie auf der Website des Parlaments veröffentlicht ist.)

Nachdem alle Änderungsanträge abgearbeitet waren, erhielt der Bericht die Zustimmung von allen Gruppen des Parlaments bei zwei Gegenstimmen der französischen Rechtspopulisten Front National.

In diesem Bericht erkennt das Parlament an, dass eine Urheberrechtsreform dringend nötig ist – nicht nur zur Verbesserung des Digitalen Binnenmarktes, sondern auch, um den Zugang zu Bildung und Wissen für alle Menschen in Europa zu erleichtern. Der Bericht fordert die Kommission auf, eine Reihe von Maßnahmen zu prüfen, um das Urheberrecht mit der Lebensrealität der Europäer*innen in Einklang zu bringen und den grenzüberschreitenden Zugang zu unserer vielfältigen Kultur zu verbessern. Damit geht der Bericht in seinen Forderungen weiter, als die bisher vorgestellte Strategie der Kommission, welche aber erst im Herbst einen konkreten Vorschlag liefern wird.

Dieser Bericht ist ein Wendepunkt: Nach Jahrzehnten, in denen der Schwerpunkt auf der Einführung neuer Barrieren für den Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Rechteinhaber*innen lag ist dies der bislang stärkste Ruf, die Rechte der Öffentlichkeit zu berücksichtigen – die Rechte der Nutzer*innen, der Kulturinstitutionen, der Wissenschaftler*innen und die der Autor*innen, die auf bestehenden Werken aufbauen. Es ist ein Ruf, die Rechtsunsicherheiten zu reduzieren, denen die Menschen in Europa täglich im Umgang mit urheberrechtlich geschützten Werken begegnen und gleichzeitig die Werkschaffenden vor Ausbeutung zu schützen. Die Vorschläge haben bei einer Umsetzung keine negativen Auswirkungen auf das Auskommen von Werkschaffenden, sondern verbessern dramatisch die Fähigkeit aller, an Kultur und Bildung teilzuhaben.

Zum ersten Mal ruft das Parlament dazu auf, Mindeststandards für die Öffentlichkeit festzulegen, die in einer Liste von Urheberrechtsausnahmen festgelegt sind und die bislang völlig optional durch die Mitgliedsstaaten eingeführt werden konnten. Um sicherzustellen, dass diese Rechte in der Praxis Anwendung finden, stellt der Bericht fest, dass die Nutzung von Urheberrechtsschranken nicht durch restriktive Verträge verhindert werden darf und dass DRM nicht die Schaffung von Privatkopien von legal erworbenen Inhalten unmöglich machen darf. Die Einführung von neuen Urheberrechtsausnahmen ist ebenfalls auf dem Tisch, insbesondere

  • um Bibliotheken und Archiven die effiziente Digitalisierung ihrer Bestände zu erlauben
  • um das Ausleihen von e-Books über das Internet zu ermöglichen und
  • um die automatische Analyse von großen Text- und Datenmengen zu erlauben (Text and Data-Mining)

Es gibt keine parlamentarische Mehrheit für die öffentliche Mehrheit

Um eine breite Zustimmung für den Bericht zu erreichen, musste ich einige Abstriche machen. Es war unmöglich, eine parlamentarische Mehrheit für eine Reihe von vernünftigen Reformideen zu finden, die von der breiten Öffentlichkeit bei der öffentlichen Konsultation der EU im letzten Jahr gefordert und von wissenschaftlicher Forschung und Expert*innen unterstützt werden.

Der Report enthält nicht mehr die Forderung, alle Urheberrechtsschranken verpflichtend in allen EU-Mitgliedsstaaten einzuführen, was verhindert hätte, dass die Rechte der Europäer*innen mit urheberrechtlich geschützten Werken zu arbeiten an den nationalen Grenzen enden.

Er enthält auch nicht mehr die Forderung nach der Einführung einer flexiblen offenen Norm, um zukünftige Entwicklungen abzudecken, die heute noch nicht absehbar sind.

Anstatt einer nennenswerten Verkürzung von Schutzfristen, die das „Schwarze Loch des 20. Jahrhunderts“ – große Teile unseres jüngeren kulturellen Erbes sind nicht verfügbar, weil sie zwar einerseits wirtschaftlich uninteressant, andererseits aber noch urheberrechtlich geschützt sind – eingedämmt hätte, rafft sich das Parlament nur dazu auf, ein Ende der Verlängerung von Schutzfristen und ein Ende nationaler Aufschläge auf Schutzfristen zu fordern – beispielsweise die 30 Jahre, die in Frankreich für Kriegshelden vergeben werden.

Werke, die von Regierungen, Parlamenten, Gerichten und anderen öffentlichen Institutionen verfasst wurden, werden weiterhin urheberrechtlich geschützt sein – offenbar um sie vor den Bürger*innen zu schützen, die ihre Erstellung finanziert haben. Die Kommission wird nur gebeten, ihre Nachnutzung zu vereinfachen.

Die großen politischen Gruppen haben nicht nur den Ideen, die von einer breiten Öffentlichkeit unterstützt wurden ihren Rücken zugewandt, sie fordern ausdrücklich auch die Löschung der Erwähnung der bisher unerreichten Nummer von Antworten durch Endnutzer*innen aus dem Bericht.

Dies war bislang die erfolgreichste politische Mitwirkung zum Urheberrecht und wir müssen die Politiker*innen immer wieder an diese Ergebnisse erinnern. Es ist nicht akzeptabel, dass so viele Stimmen ignoriert werden.

Die Notwendigkeit eines Kompromisses führte außerdem dazu, dass wo die ursprüngliche Fassung meines Berichtes klare Forderungen stellte, nun die finale Fassung häufig nur noch die Kommission um die Prüfung bestimmter Ideen bittet. Damit stellt sich das Parlament leider nicht als starker Spieler in der kommenden Debatte um den Gesetzesvorschlag auf.

Wir mussten zwei Niederlagen einstecken

Bei einigen Punkten war es unmöglich, einen Kompromiss zu finden, also kam es zu einer Kampfabstimmung – die wir verloren haben:

Bezüglich der Panoramafreiheit wurde ein besorgniserregenderÄnderungsantrag mit Unterstützung von EPP und S&D angenommen. Er besagt, dass kommerzielle Verwendungen von Reproduktionen von Werken im öffentlichen Raum stets einer Erlaubnis der Rechteinhaber bedürfen. Das würde Rechte einschränken, die in vielen Mitgliedsstaaten heute gelten und neue Rechtsunsicherheit schaffen, u.A. für viele Fotos die Nutzer*innen auf (kommerziellen) Foto-Sharing-Diensten veröffentlichen. Dokumentarfilmproduktionen müssten den Urheberrechtsstatus jedes Gebäudes, jeder Statue oder sogar jedes Graffitis recherchieren, die in ihren Filmen abgebildet sind, und die Erlaubnis der jeweiligen Rechteinhaber einholen. Das ist schlicht absurd.

Mit knapper Mehrheit wurde ein Antrag abgelehnt, audiovisuelle Zitate, also Zitate in anderen Medienformaten als Text, in ganz Europa zu legalisieren. Damit bleiben YouTuber und Podcaster, die kurze Ausschnitte anderer Werke zitieren, sowie Netzkultur-Phänomene wie Reaction-GIFs in einem großen Teil Europas in einem legalen Graubereich. Hätten sich die beiden Mandatare der GUE/NGL-Linksfraktion hier nicht enthalten, wäre der Antrag angenommen worden.

Wir haben viele schlechte Ideen abgewehrt

Mehr als 550 Änderungsanträge wurden zu meinem Berichtsentwurf eingereicht – darunter Dutzende, die nachhaltig negative Auswirkungen auf die Rechte der Bürger*innen und die Freiheit im Internet hätten. Bei den Verhandlungen war ich in der Lage, eine große Anzahl dieser Bedrohungen zu verhindern.

Einige Beispiele:

Die Schattenberichterstatter*innen von EVP und ECR versuchten zusammen mit 11 weiteren Abgeordneten mittels fünf Änderungsanträge, jede positive Erwähnung der Gemeinfreiheit (Werke, die nicht vom Urheberrecht geschützt sind, z.B. weil die Schutzfrist abgelaufen ist) zu löschen. Der Abschlussbericht behält eine starke Forderung nach Schutz unseres gemeinsamen kulturellen Erbes und stellt sicher, dass Werke, die in der Öffentlichkeit sind in öffentlichem Besitz bleiben, wenn sie digitalisiert werden.

Der Versuch einer deutschen EVP-Abgeordneten ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage in den Bericht einzufügen wurde ebenfalls verhindert. Ein solches Gesetz führte nicht nur in Deutschland, sondern auch in Spanien zu einer Einschränkung des Rechts auf Linking und stellt eine riesige Hürde für die Innovationskraft im Internet dar, während die Verlage gar nicht davon profitierten.

Die Schattenberichterstatterin der EVP stellte zusammen mit 11 anderen Abgeordneten einen Änderungsantrag der „marktorientierte Lösungen“ als das Allheilmittel für Bibliotheken präsentierte, um E-Bücher zu verleihen – und ablehnte, dass Bibliotheken eine umfassende Rechtsgrundlage für die Onlineleihe brauchen, genauso wie offline. Die finale Fassung enthält diese Forderung nicht mehr und stellt klar, dass eine E-Leihe-Ausnahme notwendig ist.

Eine deutsche Abgeordnete der EVP reichte einen Änderungsantrag an, der digitale Sperren ausdrücklich dafür lobte, dass sie oft Nutzer*innen von Handlungen abhalten, die ihnen rechtlich eigentlich erlaubt sind. Der Kompromiss hingegen stellt klar, dass das Recht auf Privatkopie nicht technisch beschränkt werden darf.

Mehrere Änderungsanträge des ALDE-Schattenberichterstatters und mehrerer S&D-Abgeordneten forderten eine Haftung für Links – wenn also ein Link, den du teilst zu einer unerlaubten Vervielfältigung eines geschützten Werkes führt, wärst du dafür haftbar. Damit würden Links, die Grundbausteine des Internets, kriminalisiert werden. Am Ende einigten wir uns darauf, das Thema nicht im Bericht zu behandeln, was sicherstellt, dass der Bericht die jetzige Lage nicht verschlimmert.

Dies ist ein Schritt auf einer langen Reise

Der Kampf ist noch nicht vorüber: Am 9. Juli wird das Plenum – alle 751 Mitglieder des Parlaments – über meinen Bericht abstimmen. Die schlimmsten Stellen des Berichts können immer noch repariert werden. Ich zähle auf deine Unterstützung!

Soweit dies durch das Gesetz möglich ist, hat der Schöpfer auf das Copyright und ähnliche oder Leistungsschutzrechte zu seinem Werk verzichtet.

11 Kommentare

  1. 1

    Vielen Dank für deine Arbeit.

  2. 2
    cre8radix

    Ahoy Julia, bleib dran! Ich stehe direkt hinter Dir ;)

  3. 3

    Ebenso danke, auch wenn nicht alles aufgegangen ist und Unsinn, wie die „Panoramaunfreiheit“ nun weiter bestehen bleiben. Es ist mit dem Bericht allerdings ein wichtiges Rasterund ein weiterer Debattenhorizont entstanden, um die kommenden Gesetzesvorschläge der Kommission zu prüfen. Die Konflikte mit den „Kunst“-Urhebern (Filmleute, Autoren) werden wohl weiterhin bestehen, so lange es keine brauchbaren zukunftsfähigen Urhebervertragsrechtsmodelle gibt. Vor allem von denen, die mit den Verwertungsgesellschaften im Nacken gut verdienen, werden diese Konflikte dann in alter Manier weiter bewegt werden. Doch Bibliotheken, öffentliche Einrichtungen, die quasi Wissensspeicher sind und kulturelles Erbes aufbereiten, stehen doch inzwischen sehr hinter dem Ergebnis.

    • Liebe Konstanze, Du schreibst:

      Die Konflikte mit den „Kunst“-Urhebern (Filmleute, Autoren) werden wohl weiterhin bestehen, so lange es keine brauchbaren zukunftsfähigen Urhebervertragsrechtsmodelle gibt. Vor allem von denen, die mit den Verwertungsgesellschaften im Nacken gut verdienen, werden diese Konflikte dann in alter Manier weiter bewegt werden.

      Hast Du Dich schon einmal gefragt, WARUM die mit den VGs im Nacken gut verdienen? Der Grund ist ein ganz einfacher und für jeden Marktwirtschaftler klar: weil ihre Werke GENUTZT werden. Häufig und mit großer Reichweite. Und wenn breit und häufig genutzt wird, dann entsteht eben auch ein hohes Aufkommen.

      Das ist nicht verwerflich.

      Ganz im Gegenteil. Diese Menschen haben es geschaft, sich im überfüllten Meer der Medienwelt durchzusetzen.

      Auch das ist nicht verwerflich.

      Nur weil manche Medienwerke im weiteren Sinne von DIR oder auch von Deinen von mir aus 2000 Freunden als absolut entbehrlich empfunden werden, so möchte ich doch darauf hinweisen, dass

      1. niemand gezwungen wird, ein Werk zu konsumieren und
      2. eine große Gefahr darin besteht, Werke egal welcher Art aufgrund des persönlichen Geschmacks finanziell höher oder niedriger vergüten zu wollen. Da ist es kein großer Schritt mehr weg von der Freiheit und hin zu einem totalitären Kulturverständnis.

      Mein Geschmack ist „Never gonna give you up“ auch nicht und ich wäre froh, den Song gäbe es nicht. Trotzdem scheint dieser Song seit über 30 Jahren ganz fest in der Kultur und dem Bewusstsein der Menschen zu stecken und auch aktiv selbst am digitalen Leben teilzuhaben. Das ist eine große Leistung, auch wenn Sie leider niemals den Krebs als Krankheit oder auch nur den Krebs für den ich persönlich diese Art Kultur halte aus der Welt schaffen wird.

      Mit den besten Grüßen
      Hans

  4. 4

    Danke für deine Arbeit! Bezüglich der Panoramafreiheit war deine Veröffenlichung hier sehr wertvoll!

  5. 5

    ich verstehe nicht, wie diese burschen im eu parlament die zeit finden, solch dämliche punkte zu diskutieren, während nebenan so mancher EU staat im schuldenchaos versinkt und sogar innerhalb der EU kriegsähnliche zustände herrschen. vermutlich werden hier dann schnell entscheidungen getroffen im vergleich zu den dringenden themen ! gibt es aktuell nicht wichtigeres, als kultur-, gedankengut und künstlerisch tätige einzuschränken ? ich bin der meinung : doch, gibt es !!! wie kann es sein, dass ein entwurf , der eigentlich eine flächendeckende und EU weite panoramafreiheit einführen sollte, genau das gegenteil hervorruft ? „nix ist unmöglich“, egal wie dämlich….dieser spruch sollte die fahnen der EU schmücken !

  6. 6
    Christian

    Ein Problem habe ich vor allem mit dem Ausleihen von E-Books über das Internet. Das führt am Ende doch dazu, dass viel weniger E-Books gekauft werden – zu Lasten der Autoren, die immer weniger Geld für ihre Arbeit bekommen. Auch schadet das dem neuen Medium, da viele Verlage ihre Bestseller gar nicht mehr als E-Books verbreiten werden, aus Angst vor der Kannibalisierung ihres Printgeschäfts. Der Vergleich mit der physischen Ausleihe hinkt, weil die nicht die Gefahr der Vervielfachung von Kopien ohne Qualitätsverlust in sich birgt.

  7. 7

    Erschreckend finde ich, dass der „gemeine“ Bürger von sowas mal gar nichts mitkriegt! Die Einschränkung, bzw. Abschaffung der Panoramafreiheit ist der letzte Dolchstoß für die Streetphotography in Europa, die die Bundesregierung ja faktisch schon mit ihrer Gesetzesänderung Anfang des Jahres zumindest in Deutschland zu einer Gratwanderung gemacht hat.

    Ich hoffe, dass es noch mehr Leute im EU Parlament gibt, für die das Internet nicht auch „Neuland“ ist und die sich Gedanken machen, was sie den Bürgerinnen und Bürgern Europas damit antun, von denen sie eigentlich gewählt sind…

  8. 8
    Bürger Bürger

    Die Einschränkung der Panoramafreiheit würde bedeuten, daß diejenigen, die Werke vervielfältigen wollen (Nutzer) für jedes einzelne Objekt Lizenzanfragen stellen müßten. Dies würde dazu führen, daß der Aufwand für die Nutzer stark erhöht wird – sie würden mit Bürokratie belastet statt entlastet, und daß die Grundbuchämter mit Anfragen von Nutzern nach Eigentümern belastet würden. Die Einschränkung der Panoramafreiheit würde also das Geschäft vieler Nutzer zugunsten weniger Nutzer einschränken oder sogar unmöglich machen – den Markt und unternehmerische Freiheit schwächen, und die Grundbuchämter müßten personell verstärkt werden, Verwaltung und Bürokratie also ausgebaut statt abgebaut werden. Es würde also erklärten Zielen der EU entgegenstehen.

    Sind ein Wald, eine Straße, ein Gewässer, eine unbebaute Landschaft auch Werke im Sinne des Urheberrechts? In Deutschland wird seit kurzem zwischen normalem Urheberrecht und Kunsturheberrecht unterschieden.

    (Europa bedeutet, daß große Konzerne und Oligopole gestärkt werden – zulasten kleiner Unternehmen und der Bürger.)

    Persönliche Daten sowie Adreß- und Kontaktdaten nicht unbefugt Dritten überlassen, auch nicht in- oder ausländischen Diensten!!!

  9. 9
    Michael

    „Ebenso danke, auch wenn nicht alles aufgegangen ist und Unsinn, wie die „Panoramaunfreiheit“ nun weiter bestehen bleiben.“

    Wären Sie, Konstanze, bitte so nett und würden mir einmal erklären warum die Panoramafreiheit Unsinn ist?

  10. 10
    citoyen

    Klasse Arbeit. Weiter so!