Beeinträchtigen Urheberrechtsverletzungen die Verkaufszahlen von Werken? Für die politische Gestaltung des Urheberrechts und seiner Durchsetzung ist diese Frage ganz zentral.

Im Januar 2014 bestellte die Europäische Kommission eine Studie zum Thema bei der niederländischen Firma Ecorsys – ein Auftrag im Wert von 360.000 Euro.

Die 300 Seiten starke Studie wurde der Kommission im Mai 2015 übergeben, dann aber nie veröffentlicht. Bis heute – denn ich habe eine Kopie erhalten: Estimating displacement rates of copyrighted content in the EU

Die Studie kommt zum Ergebnis: Mit Ausnahme aktueller Blockbuster-Filme gibt es keinen Beleg für die These, dass illegale Downloads im Netz zu einem Rückgang von Verkäufen führen. Dieses Ergebnis ist zwar nicht einzigartig, sondern bestätigt vorangegangene Studien – aber es wirft die Frage auf:

Besteht ein Zusammenhang mit dem Ergebnis der Studie und der Tatsache, dass die Kommission sie fast zwei Jahre lang nicht veröffentlicht hat?

Außer bei neuen Blockbustern gibt es keinen Beleg dafür, dass illegale Downloads im Netz zu einem Rückgang der Verkaufs-zahlen führen.Tweet this!

In politischen Debatten über das Urheberrecht wird in aller Regel davon ausgegangen, dass Urheberrechtsverletzungen direkte negative Auswirkungen auf die Erträge von Rechteinhaber*innen haben.

Das aktuellste Vorstoß, der auf dieser Denke beruht, ist der höchst umstrittene Vorschlag der Kommission, Internetplattformen zur Installation von Filtern zu zwingen, die alle Uploads von Nutzer*innen auf Urheberrechtsverletzungen überwachen. Die Kommission begründet diese Maßnahme mit einer sogenannten „Verwertungslücke“ (value gap), die angeblich zwischen lizenzierten Musik-Streamingdiensten und Plattformen wie YouTube bestünde, wo eine Mischung von lizenzierten und unlizenierten Inhalten zu finden ist. Um solch weitreichende Vorschläge angemessen diskutieren zu können, brauchen wir natürlich Zugang zu allen verfügbaren Erkenntnissen darüber, ob es in der Praxis tatsächlich Verdrängungseffekte gibt, die für Verkaufsentgänge verantwortlich sind.

Womöglich wäre die Studie noch weitere Jahre in einer Schublade verstaubt, wenn ich nicht einen Antrag auf Zugang zu Dokumenten nach dem EU-Informationsfreiheitsgesetz gestellt hätte, sobald ich auf die öffentliche Ausschreibung für die Erstellung der Studie von 2013 aufmerksam wurde. Zwei Mal schon hat die Kommission die Frist zur Beantwortung meiner Anfrage versäumt, aber ich erwarte nun für Ende dieser Woche die endgültige Antwort und damit die offizielle Veröffentlichung der Studie sowie des dazugehörigen Begleitmaterials.

Ich rufe die Kommission dazu auf, die Debatte um die Urheberrechtsreform auf ein sachlicheres Niveau zu bringen, indem sie relevante Zahlen und Fakten zeitnah veröffentlicht. Erkenntnisse wie die vorliegenden, die sowohl finanziell wertvoll sind, als auch zur Versachlichung aktueller Gesetzgebungsdebatten beitragen können, müssen allen Beteiligten zur Verfügung stehen – insbesondere, wenn sie mit öffentlichen Geldern finanziert wurden. Es darf nicht wieder vorkommen, dass kritische Erkenntnisse Staub ansammeln, bis sich jemand aktiv um ihre Veröffentlichung bemüht.

Soweit dies durch das Gesetz möglich ist, hat der Schöpfer auf das Copyright und ähnliche oder Leistungsschutzrechte zu seinem Werk verzichtet.

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